Philippe Descola: Kultur als Welterzeugung
Institut für Kulturforschung Heidelberg in Zusammenarbeit mit dem DAI Heidelberg
Abendvortrag, 27. April 2013, 19 Uhr | Audio-Aufzeichnung
Prof. Dr. Philippe Descola, Collège de France
Philippe Descola ist Schüler des französischen Anthropologen Claude Lévi-Strauss und Professor für Anthropologie der Natur am Collège de France in Paris. Er wurde bekannt durch seine Studien über die Jívaro-Indianer, ein im Amazonasgebiet von Ecuador und Peru lebender Stamm. 2011 erschienen auf Deutsch: Jenseits von Kultur und Natur sowie Leben und Sterben in Amazonien: Bei den Jívaro-Indianern.
Die anschließende Diskussion moderierte
Prof. Dr. Karl-Heinz Kohl
Direktor Frobenius-Institut Frankfurt/Main
Kultur als Welterzeugung
Begriffe wie „Natur“ und „Kultur“ bezeichnen nicht universale Wirklichkeiten, sondern besondere Formen, deren sich die Moderne bedient, um Wirklichkeit in Existenzbereiche zu gliedern. Andere Kulturen haben unterschiedlichste Formen hervorgebracht, um Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen Menschlichem und Nicht-Menschlichem zu organisieren. Der Vortrag will zeigen, dass diese Formen nicht eigentlich Weltbilder, sondern Formen der Welterzeugung sind.
Ort: Deutsch-Amerikanisches Institut Heidelberg; der Eintritt ist für Mitglieder des IKH frei
Der Vortag wird in englischer Sprache gehalten.
Vortrag als mp3-Audiodatei
Pressestimmen zum Buch „Jenseits von Natur und Kultur“ von Philippe Descola:
Michael Hampe, Neue Zürcher Zeitung:
»Descola schildert den ungeheuren Reichtum im «Register der Möglichkeiten», die Welt zu bewohnen, aber nicht nur in der Absicht, die Elemente des Menschlichen in verschiedenen Kombinationen darzustellen. Hinter den groben Kategorisierungen von Totemismus, Animismus und Naturalismus verbirgt sich für ihn auch eine Vielfalt praktischer Weltverhältnisse, zu denen man Stellung beziehen kann. Ihre Kenntnis schafft vor allem Distanz zu der Art und Weise, wie sich die meisten Menschen im Schema der Natur-Kultur-Unterscheidung heute zur Welt verhalten: Alles – ausser sie selbst – wird zur entpersonalisierten produzier- und handelbaren Ressource. Schutz ist Erhaltung von Ressourcen, Wettstreit ist Kampf um Ressourcen. Aus dieser Perspektive haben Ethnologen früher auch andere Lebensformen rekonstruiert. Einer solchen ethnozentrischen Ethnologie will Descola mit seinem Werk entgegentreten. «
Wolfgang Sofsky, Die Welt:
»Philippe Descolas große Anthropologie der Natur enthüllt die Borniertheit des westlichen Denkens. ... Descola macht den Leser mit zahllosen Denkweisen und Praktiken vertraut, die dem Bürger Mitteleuropas so fremdartig vorkommen, dass er sie kaum wahrzunehmen vermag. Doch entschlüsselt Descola nicht nur deren Bedeutung, er schärft auch den Blick für die Grenzen der westlichen Kultur. ...Descolas großes Werk verknüpft begriffliche Klarheit mit theoretischer Eleganz und Erzählkunst. Mit profunder Sachkenntnis und melancholischem Unterton macht es verständlich, welche kulturellen Kosten und Verluste die Menschheit für den Siegeszug des westlichen Naturalismus zu zahlen hatte.«
Helmut Höge, tageszeitung:
»Für viele Stämme der Amazonas-Indianer sind die Tiere und Pflanzen ›Personen‹, sodass die Menschen ›mit den Pflanzen, den Tieren und den sie schützenden Geistern individuelle Beziehungen unterhalten‹ können. Descola will das nicht für ›wahrer‹ als unsere Wahrheiten halten, nur neben der ›naturalistischen‹ Weltauffassung auch die anderen - ›animistischen‹, ›totemistischen‹ und ›analogischen‹ gelten lassen. Sein kosmologischer Rundumschlag läuft zuletzt auf ein Plädoyer für ein Nebeneinander all dieser Typen ›des In-der-Welt-Seins‹ hinaus - in einem Verhältnis der ›Gegenseitigkeit‹, die er für dringend geboten hält.«
Helmut Mayer, Frankfurter Allgemeine Zeitung:
»Es ist kein Buch der direkten Wege, das Philippe Descola geschrieben hat, aber ein unumgängliches vielleicht gerade deswegen.«