Beobachtung visueller Kultur

 

Visuelle Kulturen entstehen aus dem komplexen Zusammenspiel von visueller Wahrnehmung (vision), Bildern (pictoriality) und der Produktion von Sichtbarkeit (visibility) mit visualitätsbezogenen (sprachlichen) Texten. Beobachtung visueller Kultur meint die Explikation der Übersetzungsverhältnisse zwischen den so markierten Aspekten von Visualität. Es geht also um die Kulturalität des Sehens, die historischen Veränderungen des Feldes des Sichtbaren und deren Interaktionen mit bildlichen und textuellen Darstellungen.

Dabei suchte das Projekt nach Alternativen zur üblichen Gegenüberstellung von Textualität und Visualität, wie sie von textualistischen Zugängen, die Sprache zum Modell jeglichen Zeichenhandelns erklären (und so die ‚Grammatik des Films‘ oder ‚Kultur als Text‘ untersuchen), ebenso wie von visualistischen Zugriffsweisen befördert wird, die das Visuelle zum Anderen der Sprache verklären (und so ein ‚Privileg des Auges‘ oder eine ‚Eigenlogik der Bilder‘ behaupten). An die Stelle dieser sich weitgehend unversöhnlich gegenüberstehenden Betrachtungsweisen sollte damit ein Interesse an den unterschiedlichen Relationen von Textualität und Visualität, an intermedialen Übergängen und wechselseitigen Kontaminationen treten.

In Ergänzung zum Programm des DFG-Netzwerks ‚Literaturwissenschaftliche Visualitätsforschung‘, das Literatur als konstitutives Element visueller Kulturen sowie der Übermittlung und Formation von Visualitäten betrachtet hat, verfolgte das Projekt zwei Fragerichtungen. Zum einen ging es um den Nutzen und Nachteil literaturwissenschaftlicher Beobachtungsmodi oder Suchbegriffe zur Untersuchung visueller Verhältnisse bzw. die Erprobung literaturwissenschaftlicher Kategorien und Modelle im visuellen Feld. Zum anderen zielte das Projekt auf die exemplarische Erschließung der Komplexität eines visuellen Feldes zwischen Kunst und Literatur, Populär- und Alltagskultur, bildgebenden Verfahren und wissenschaftlichen Diskursen: der Visualität des Gehirns.

Das Projekt hat Visualitätsforscher verschiedener Disziplinen und unterschiedlicher Ausrichtungen zusammengebracht, um die Analyse von Visualität theoretisch zu fundieren, Methoden der Untersuchung von Text-Bild-Beziehungen zu diskutieren und deren praktische Relevanz für die Kulturforschung aufzuzeigen. Dies geschah im Projekt- bzw. Arbeitszusammenhang des Instituts für Kulturforschung Heidelberg, der sich der Anwendung des Konzepts der Intertextualität auf Bild-Bild-Beziehungen (Interpiktorialität), der Bildbeschreibung (Ekphrasis) in den Naturwissenschaften sowie dem Zusammenspiel von Piktorialität und Diskurs (‚Viskurs‘, Knorr Cetina) widmete.

Wissenschaftliche Leitung: Guido Isekenmeier

Interdisziplinäre Fachtagung, 04.-05.11.2011, Ruhr-Universität Bochum

Interpiktorialität – der Dialog der Bilder

Die Tagung diente der konzeptuellen Klärung eines Grundbegriffes, der für das Verhältnis von Text- und Bildwissenschaften in mehrfacher Hinsicht bedeutsam ist. Zum einen ist er das visuelle Gegenstück zum ungleich weiter entwickelten Begriff der Intertextualität und als solcher für eine ‚symmetrische‘, gleichermaßen Bilder wie Texte und ihre gegen- und wechselseitigen Beziehungen berücksichtigende Intermedialitätsforschung unerlässlich. Zum anderen spiegelt der nach wie vor prekäre Charakter eines Begriffs der Interpiktorialität, der sich unter anderem in wechselnden Begriffswörtern artikuliert (Interikonizität, Interbildlichkeit, Interpikturalität), die Schwierigkeiten einer Übertragung von textualistischen Kategorien auf piktoriale Zusammenhänge. In einem interdisziplinären Dialog von Kunst-, Medien- und Literaturwissenschaftlern wurden die Möglichkeiten und Grenzen einer Typologisierung interpiktorialer Bezüge diskutiert.

Tagungsprogramm

Tagungsbericht im Journal of Literary Theory

Publikationen

Interpiktorialität. Theorie und Geschichte der Bild-Bild-Bezüge

Bielefeld Dezember 2013, transcript, Reihe Image, broschiert, 370 Seiten, zahlreiche Abbildungen, € 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2189-1

Mit Beiträgen u.a. von Hanne Loreck, Susanne von Falkenhausen, Margaret A. Rose, Judith Elisabeth Weiss, Viola Hildebrand-Schat, Nina Gerlach, Lukas Etter/Gabriele Rippl, Linda-Rabea Heyden, Christian A. Bachmann, Monika Schmitz-Emans, Ronja Tripp und Guido Isekenmeier.

Ein erster Überblick über die Interpiktorialitätsforschung: Der interdisziplinäre Band vereint Beiträge zur Theorie der Bild-Bild-Bezüge mit Fallstudien, die die Geschichte der Beziehungen zwischen Bildern vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart aufspannen. Untersucht werden das Verhältnis zu literatur- und kunsttheoretischen Konzepten – wie dem der Intertextualität, der Intermedialität oder der Interikonizität –, die methodischen Implikationen des Begriffs der Interpiktorialität sowie die historisch und medial spezifischen Ausprägungen interpiktorialer Verweise von der Karikatur zum Comic, von der bildenden Kunst zum technischen Bild.

Visual communication, popular science journals and the rhetoric of evidence

While the use of scientific visualisations (such as brain scans) in popular science communication has been extensively studied, we argue for the importance of popular images, including pictures of everyday scenes of social life or references to pictures widely circulating in popular cultural contexts. We suggest that these images can be characterised in terms of a rhetorical theory of argumentation as working towards the production of evidentiality on the one hand, and as aiming to link science to familiar visualities on the other; our example is da Vinci's "Vitruvian Man".

Dirk Hommrich, Guido Isekenmeier: Visual communication, popular science journals and the rhetoric of evidence, in: JCOM 15 (02), 2016
DOI: https://doi.org/10.22323/2.15020304
Published: 17 March 2016