STS-Workshop "Reflexive Praktiken"

 

Im Kontext des STS-Projekts des Institut für Kulturforschung Heidelberg laden die Organisatoren Carsten Ochs, Paul Gebelein und Tonia Davidovic-Walther am 8.-9. Oktober 2010 zu einem Workshop bei der GEW-Hessen im Zimmerweg 12, Frankfurt am Main, ein.

FotoDie Science and Technology Studies (STS) zeichnen sich seit jeher dadurch aus, dass sie theoretische und konzeptuelle Fragen empirisch reformulieren, bearbeiten und überprüfen. Von Anbeginn wurde aus ihren Reihen gefordert, die Prozesse und Beschreibungen natur- und technikwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung empirischen Untersuchungen aus dem Bereich der Sozial- und Kulturwissenschaften zugänglich zu machen. So stellte v.a. das durch David Bloor begründete Strong Programme Mitte der 1970er Jahre eine Zäsur im Denken über die exakten Wissenschaften dar. Indem die Edinburgh School der Sociology of Scientific Knowledge (SSK) nach den sozialen Faktoren für den Ausgang wissenschaftlicher Kontroversen fragte und diese durch empirische Forschung untersuchte, ließen sich einseitige Selbstbeschreibungen der Natur- und Ingenieurwissenschaften korrigieren. Bei allen Unterschieden hat sich diese ausgeprägt "empirische" und "konstruktivistische" Fundierung der STS als gemeinsamer Nenner der verschiedenen Strömungen innerhalb des Feldes erhalten: vom Empirical Programme of Relativism der Bath School, über die Laborstudien, die Forschungen zur sozialen Konstruktion von Technologien (SCOT) und zur Evolution großtechnischer Systeme, bis hin zur Akteur-Netzwerk-Theorie.

In den letzten Jahren hat darüber hinaus eine äußerst variationsreiche Ausdifferenzierung hinsichtlich der Gegenstände der STS stattgefunden. Die Hinwendung zu Fragen nach den "Gesetzen der Märkte" (Callon, Preda) ist genauso zu beobachten, wie ein verstärktes Interesse an der Produktion "lebenswissenschaftlichen Wissens" (Mol, Singleton) und der Herausbildung "globaler Mikrostrukturen" (Knorr-Cetina, Bruegger). Kognitionswissenschaftliche (Hutchins, Giere) und post-koloniale Spielarten der STS (Adams, Anderson) sind entstanden.

Der Untersuchungsbereich wird also um eine immer größere Fülle von Gegenständen erweitert. Dabei machen sich die ForscherInnen der STS eine Vielzahl unterschied

lichster Denktraditionen und Arbeitsweisen zu Nutze, wie z.B. die Ethnomethodologie (Lynch), die Social Worlds Analysis (Clarke, Leigh Star), die Feminist Studies (Suchman), oder auch poststrukturalistische Wissensbestände (Law).

Diese drei Aspekte -- die empirische Fundierung des erzeugten Wissens, die Ausdifferenzierung der durch die STS bearbeiteten Gegenstandsfelder sowie der Variantenreichtum ihrer Forschungsperspektiven -- lassen deutlich werden, dass die Frage danach, was die STS sein und was sie leisten könnten, worin ihr Potential besteht und wohin sie weiter entwickelt werden könnten oder sollten, am besten gestellt werden kann, indem danach gefragt wird, wie man die STS zur Anwendung bringt: wie kann der "Werkzeugkasten" der STS fruchtbar gemacht werden? Und worin bestehen die "Tools" der STS?

Der WorkshFotoop hat sich zum Ziel gesetzt, genau diese Frage(n) aufzuwerfen. Er wendet sich unabhängig von der jeweiligen Zugangsweise (historisch oder zeitgenössisch, diskursanalytisch oder ethnographisch) und den jeweils fokussierten Gegenständen (Reproduktionsmedizin oder Digital-Computer, Finanzderivate oder Ausgrabungstechniken) an alle interessierten Workshop-TeilnehmerInnen mit der Anfrage, wie sie sich in ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeit auf die STS beziehen, und wie sie deren Modelle zum Einsatz bringen.

Vor allem soll es darum gehen, Grenzen und Herausforderungen zu identifizieren, an denen das bestehende Instrumentarium der STS gerade nicht mehr weiter hilft. Auf diese Weise soll ermittelt werden, in welche Richtung sich zukünftige Forschungsaktiv

itäten bewegen könnten: wo könnten, sollten oder müssten Brücken zu anderen Forschungsbereichen geschlagen werden, weil die Methoden der STS zu kurz greifen? Welchen Gegenstandsbereichen, Arbeitsweisen und Brennpunkten sollte zukünftig verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt werden, um die Erkenntnis-Produktion der STS zu erweitern? Wie könnten neue Konzepte und Methoden der STS beschaffen sein? Wie wären bestehende Modelle zu reformulieren, um etwaige, bisher schwerlich analysierbare Phänomene der empirischen Untersuchung zugänglich zu machen?

Der Workshop hat sich nun nicht die unlösbare Aufgabe gestellt, diese Fragen umfassend zu beantworten oder gar einen Wesenskern der STS zu proklamieren, sondern rückt die Un/Brauchbarkeit der Werkzeugkiste STS in Bezug auf die Forschungsarbeiten seiner Teilnehmerinnen und Teilnehmer ins Zentrum des Interesses.

Datum: 8.-9. Oktober 2010
Ort: GEW Hessen, Zimmerweg 12, 60325 Frankfurt/M.

Audio-Aufzeichnungen

 

Programm

8. Oktober 2010

14.00 Uhr Grußworte Jens Kertscher (Heidelberg), Carsten Ochs (Frankfurt/M.)

 

Simulation & Sichtbarmachung (Moderation Petra Ilyes, Frankfurt/M.)

14.15 Uhr Gabriele Gramelsberger (Berlin): Politicsof Scaling

15.00 Uhr Christian Vogel (Tübingen): Was heißt und zu welchem Ende studiert man Sichtbarmachung?

 

Visualität & Datenproduktion (Moderation Martin Deschauer, Frankfurt/M.)

16.00 Uhr Dirk Hommrich (Mainz) / Guido Isekenmeier (Bochum): STS und die Beobachtung von Visualität

17.15 Uhr Rüdiger Land (Hannover): Werkstattbericht: Datenproduktion in der Neurowissenschaft

18.15 Uhr Michael Schillmeier (München) Die Zukunft der Science and Technology Studies

Audio-Aufzeichnung Vortrag Michael Schillmeier

18.45 Uhr Diskussion (Moderation Tonia Davidovic, Kiel)

 

Foto

Samstag, 9. Oktober 2010

Mensch-Maschine-Interaktion (Moderation Paul Gebelein, Darmstadt)

10.00 Uhr Petra Ilyes (Frankfurt/Main): SoziotechnischeArrangements

10.45 Uhr Katharina Kinder (Lancaster): Kulturelle Logiken im Design von Ub iComp Technologien

11.30 Uhr Bruno Gransche (Karlsruhe): Mensch-Technik-Kooperation – Eine Chance für STS in der deutschen Förderpolitik?

 

(Kultur-)Techniken im Feld (Moderation Dirk Hommrich, Mainz)

13.15 Uhr Carsten Ochs (Frankfurt/M.): ICTs im Trainingslager: Kontext als Programm

14.00 UhrAntonia Davidovic-Walther (Kiel): STS und Archäologie

15.00 Uhr Abschlussdiskussion (Moderation Carsten Ochs, Frankfurt/M.): theoretische sowie empirischer Forschungsfragen und -desiderate

16.00 Uhr Ende des Workhops